Die Pathogenese von Long-COVID ist komplex und noch nicht ausreichend erforscht. Hier einige Erklärungsansätze:
COVID-19 ist eine Erkrankung, die durch das SARS-CoV-2-Virus verursacht wird und kann bei einigen Menschen zu anhaltenden Symptomen führen, die als Long-COVID bezeichnet werden. Die Pathogenese von Long-COVID ist noch nicht vollständig geklärt und wird derzeit von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt untersucht. Es gibt jedoch verschiedene Faktoren, die an der Entstehung von Long-COVID beteiligt sein können. In diesem ersten Teil unseres zweiteiligen Artikels werfen wir einen genaueren Blick auf einige der wichtigsten Faktoren, die zur Pathogenese von Long-COVID beitragen können.
1. Direkte Organschädigung
Das SARS-CoV-2-Virus kann direkt auf verschiedene Organe einwirken und diese schädigen. Besonders Organe mit vielen ACE-2-Rezeptoren, welche als Eintrittspforte für SARS-CoV-2 fungieren sind von dauerhaften Schäden betroffen. Dies sind vor allem die Atemwege, der Verdauungstrakt, die Nieren und Harnwege sowie einige Hirnareale. Bei einigen Menschen kann dies zu lang anhaltenden Symptomen wie Atemnot, Niereninsuffizienz oder einer ("small fibre"-) Polyneuropathie führen.
Ebenfalls ist nach einer COVID-19-Erkrankung mit Viruspneumonie eine Vernarbung bzw. Fibrosierung des Lungengewebes wie bei einer Lungenfibrose durch die Über-Aktivierung von Makrophagen möglich, welche das Lungengewebe dauerhaft schädigt.
2. Viruspersistenz
Das Virus kann auch im Körper in sog. Virusreservoirs persistieren und eine anhaltende Entzündung verursachen. Dies kann zu einer Vielzahl von Symptomen führen, die mit einer "silent inflammation" vereinbar sind. Es wurde festgestellt, dass das Virus in einigen Fällen über Monate im Körper verbleiben kann, wie das Virus dies genau macht, ist noch nicht vollständig geklärt, es wird aber eine genetisch Prädisposition diskutiert.
3. Spikopathie
Eine andere mögliche Erklärung für Long-COVID kann die "Spikopathie" sein, bei der das "Spike"-Protein des Virus, das normalerweise den Eintritt in die Körperzellen ermöglicht, frei im Körper zirkuliert, an den ACE-2-Rezeptor der Zellen andockt und Schäden verursacht. Das "Spike"-Protein kann Entzündungen und Schäden an Blutgefäßen verursachen, was zu Langzeitschäden führen kann. Dies kann auch erklären, warum Personen mit milden Symptomen oder asymptomatischen Fällen von COVID-19 auch Long-COVID entwickeln können, da das Vorhandensein des Virus oder des "Spike"-Proteins nicht immer mit der Schwere der Symptome korreliert. Mehr Forschung ist erforderlich, um die genauen Mechanismen von Long COVID und Spikopathie zu verstehen und effektive Behandlungen zu entwickeln.
4. EBV-Reaktivierung
Es gibt Hinweise darauf, dass Long-COVID eine EBV-Reaktivierung auslösen kann. EBV (Epstein-Barr-Virus) ist ein weit verbreitetes Virus aus der Familie der Herpesviren, das nach der Erstinfektion in der Regel inaktiv in unserem Körper ruht, aber bei geschwächtem Immunsystem reaktiviert werden kann und eine Vielzahl von Symptomen verursachen kann.
Eine Studie, die im Journal of Medical Virology veröffentlicht wurde, ergab, dass PatientInnen mit Long-COVID eine höhere Prävalenz von EBV-Infektionen aufweisen als die Kontrollgruppe. Eine andere Studie im Journal of Clinical Virology fand ebenfalls Hinweise auf eine EBV-Reaktivierung bei PatientInnen mit Long-COVID.
Die genaue Beziehung zwischen Long COVID und EBV-Reaktivierung ist jedoch noch nicht vollständig verstanden. Es wird vermutet, dass Long COVID zu einer Schwächung des Immunsystems führen kann, was die Reaktivierung von EBV begünstigt. EBV kann auch eine Entzündungsreaktion im Körper auslösen, die zu einer Verstärkung der Symptome von Long COVID führen kann.
Eine EBV-Reaktivierung kann zu einer Reihe von Symptomen führen, einschließlich chronischer Müdigkeit, Fieber, Halsschmerzen, Lymphknotenschwellungen und Schmerzen in Muskeln und Gelenken. Es ist wichtig, dass PatientInnen mit Long-COVID auf eine EBV-Reaktivierung untersucht werden, um mögliche Komplikationen zu identifizieren und eine geeignete Behandlung zu ermöglichen.
5. Organentzündungen
Die Infektion mit SARS-CoV-2 kann auch zu Entzündungen im Körper führen, die verschiedene Organe beeinträchtigen und im Verlauf chronifizieren können. Insbesondere Entzündungen der Gefäßinnenwände (Endotheliitis), des Herzens (Myokarditis) und des zentralen Nervensystems (Neuroinflammation) wurden mit Long-COVID in Verbindung gebracht.
Eine der schwerwiegenderen Komplikationen, die im Zusammenhang mit Long COVID aufgetreten sind, ist die Herzmuskelentzündung. Diese kann im schlimmsten Fall zu einer verminderten Herzfunktion und einem erhöhten Risiko für Herzrhythmusstörungen führen, verläuft aber meistens sehr mild. Studien zeigen, dass eine subtile Herzmuskel bei Menschen auftriten kann, die in der Vergangenheit asymptomatische oder nur milde COVID-19-Fälle hatten. Hier wird eine körperliche Schonung und ein Sportverbot für mindestens 6 Monate ausgesprochen.
Des Weiteren sind die Gefäßinnenwände (Endothel) häufig bei Long-COVID chronisch entzündet (Endotheliitis), da die Gefäßinnenwände auch viele ACE-2-Rezeptoren besitzen. Eine Endotheliits kann nicht nur zu einer endothelialen Dysfunktion führen, sondern auch Blutgerinnsel (Mikrothromben oder "micro clots") provozieren, die zu Schäden an Organen führen können. Dies ist besonders besorgniserregend, da so die Endotheliitis zusammen mit der erhöhten Gerinnbarkeit des Blutes ("Hyperkoagulabilität", siehe Teil 2) zu einer erhöhten Rate von Herzinfarkten und Schlaganfällen oder zu einer Sauerstoffunterversorgung verschiedener Gewebe führen kann. Eine Studie ergab, dass die Endotheliitis auch bei Menschen auftreten kann, die keine schweren COVID-19-Symptome hatten, was darauf hinweist, dass das Virus auch bei milden Fällen langfristige gesundheitliche Auswirkungen haben kann.
Eine weitere Komplikation von Long COVID ist die Neuroinflammation, eine Entzündung des (zentralen) Nervensystem, die zu verschiedenen neurologischen Symptomen führen kann. Einige der häufigsten Symptome von Neuroinflammation sind Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme ("brain fog"), Schwindel, Kopfschmerzen und Müdigkeit. Es wurde gezeigt, dass COVID-19 das Nervensystem direkt infizieren und Entzündungsreaktionen auslösen kann. Bei einigen Menschen können diese Symptome auch dann noch anhalten, wenn andere Symptome von COVID-19 abgeklungen sind. Weitere Forschung ist erforderlich, um die Mechanismen und Behandlungsmöglichkeiten der Neuroinflammation bei Long COVID besser zu verstehen.
5. Endotheliale Dysfunktion
Eine weitere häufige Komplikation von Long-COVID ist die endotheliale Dysfunktion, was bedeutet, dass die Gefäßinnenwände durch die Zerstörung durch das Virus ihre Aufgaben wie die Barrierefunktion zwischen Blut und Gewebe, die Hormonregulation und die Sauerstoffversorgung nicht mehr korrekt ausführen kann. SARS-CoV-2 greift dabei die Endothelzellen direkt durch den ACE-2-Rezeptor an, der an den Gefäßinnenwänden häufig vorhanden ist.
Durch die Aufhebung der Barrierefunktion können nun z.B. mehr Flüssigkeit in das Gewebe gelangen und Ödeme/Wassereinlagerungen verursachen. Ebenfalls können vermehrt Stoffe ins Gewebe gelangen, die dort ggf. nicht hin sollten. Das kann zur "silent inflammation" führen.
Durch die Besetzung und Zerstörung des ACE-2-Rezeptors, welcher Teil des hormonellen Regelkreislauf des RAAS (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System) ist (welches den Blutdruck und Elektrolythaushalt kontrolliert) können ebenfalls Blutdruckschwankungen und Wassereinlagerungen auftreten.
Durch eine endotheliale Dysfunktion können auch Dysautonomien wie "POTS" verschlimmert werden, da auch hier das Endothel eine Rolle bei der Vasokonstriktion bei der Aufstehreaktion spielt. Zuletzt kommt es durch die Belastung des Endothels zu einer Unterversorgung des Gewebes mit Sauerstoff, was zu einem Zelluntergang führen kann. Eine endotheliale Dysfunktion geht meist mit einer Endotheliitis einher, weshalb eine antientzündliche Therapie hier helfen kann.
6. Nährstoffmangel
Ein Nährstoffmangel kann ebenfalls ein Problem bei PatientInnen mit Long-COVID sein. Da viele PatientInnen mit Long-COVID anhaltende Symptome haben, die die Ernährung und das Essverhalten beeinträchtigen können, besteht ein Risiko für Mangelernährung und Nährstoffmangel.
Einige der Symptome von Long COVID, wie Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, können dazu führen, dass der Körper nicht ausreichend Nährstoffe aufnimmt. Ein Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen und anderen Nährstoffen kann das Immunsystem schwächen und Entzündungen im Körper fördern, was die Symptome von Long-COVID verschlimmern kann. Ebenfalls verbraucht einen aktive oder chronifizierte Infektion große Mengen an Antioxidanzien, welche nicht immer adäquat aufgefüllt werden können.
Es gibt auch Hinweise darauf, dass bestimmte Nährstoffe, wie Vitamin D und Zink, eine wichtige Rolle bei der Immunfunktion spielen und eine Rolle bei der Abwehr von viralen Infektionen und Entzündungen haben. Ein Mangel an diesen Nährstoffen kann daher das Risiko für Long-COVID erhöhen oder die Symptome verschlimmern.
Eine ausgewogene Ernährung mit einer Vielzahl von Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und proteinreichen Lebensmitteln kann helfen, den Körper mit wichtigen Nährstoffen zu versorgen und das Immunsystem zu stärken. Ebenfalls kann eine Supplementierung nach der orthomolekularen Medizin sinnvoll sein.
7. Mitochondropathie
Mitochondrien sind die "Energiekraftwerke" der Zellen und spielen eine wichtige Rolle bei der Produktion von Energie. Eine Mitochondrienschädigung kann zu einer geringeren Energieproduktion führen und kann somit zu Fatigue oder PEM bei Long-COVID beitragen.
Einige der Symptome von Long-COVID, wie Müdigkeit, Muskelschwäche und "brain fog", können mit einer Mitochondriopathie in Verbindung gebracht werden. Eine Studie, die im Journal of Medical Virology veröffentlicht wurde, ergab, dass Long COVID-PatientInnen eine erhöhte Prävalenz von Mitochondriopathien aufweisen können.
Es wird vermutet, dass SARS-CoV-2-Virus die Mitochondrien direkt schädigen kann, es ist aber auch möglich, dass dies durch eine Immunreaktion, oder indirekt durch die Erhöhung von oxidativem Stress in den Mitochondrien geschieht.
Eine Ernährung, die reich an Antioxidantien (Vitamin C, Quercetin...) und Nährstoffen ist, die die Mitochondrien unterstützen, wie z.B. Coenzym Q10, kann hilfreich sein die Mitochondropathie zu mildern, im nächsten Schritt könnte man versuchen die nicht mehr funktionsfähigen Mitochondrien mittels Heilfasten- oder IHHT-Therapie auszusortieren.
Fazit:
Die Pathogenese von Long-COVID ist multifaktoriell und noch nicht gut erforscht, es ist jedoch ein komplexes Erkrankungsbild, welches auch mulitfaktoriell behandelt werden sollte. Hierfür stehen uns die Schulmedizin, sowie die Funktionelle Medizin, sowie physikalische oder ernährungsmedizinische Methoden zur Verfügung.
Im Teil 2 sehen wir uns dann die weiteren Theorien zur Entstehung von Long-COVID an.
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