Lithium - ein besonderes Element bei Long-COVID und ME/CFS
- Dr. med. Kristina Schultheiß
- 20. Mai
- 11 Min. Lesezeit
Aktuelle Erkenntnisse zur low dose Lithium-Therapie bei Long-COVID und ME/CFS

Die Frage, ob Lithium – insbesondere in Form von Lithiumorotat – bei Long-COVID und dem Myalgischen Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) hilfreich sein könnte, wird derzeit intensiv diskutiert. Obwohl große randomisierte Studien fehlen, gibt es erste Fallberichte, kleinere Studien und mechanistische Überlegungen. Im folgenden beschäftigen wir uns mit dem pathophysiologisch relevanten Wirkmechanismen von Lithium, seiner Anwendung in der Medizin und der aktuellen Studienlage.
Was ist Lithium – und wofür wird es normalerweise eingesetzt?
Lithium ist ein natürlich vorkommendes Spurenelement und gehört zu den leichtesten Metallen im Periodensystem. In der Medizin wird es seit den 1950er-Jahren als Psychopharmakon eingesetzt – vor allem zur Behandlung der bipolaren Störung*. Dort dient es der Phasenprophylaxe, also der Vermeidung von manischen und depressiven Episoden. Lithium gilt bis heute als Goldstandard in der Langzeittherapie dieser Erkrankung.
Darüber hinaus wird Lithium auch bei therapieresistenten Depressionen, Cluster-Kopfschmerzen und in Einzelfällen bei Schizophrenie eingesetzt. Seine Wirkung beruht auf der Modulation von Neurotransmittern, Signalwegen und Entzündungsprozessen im zentralen Nervensystem.
Die therapeutisch eingesetzten Formen sind meist Lithiumcarbonat oder Lithiumcitrat. Diese Präparate werden in relativ hohen Dosen gegeben und erfordern regelmäßige Blutspiegelkontrollen, da Lithium eine enge therapeutische Breite hat – d. h. der Abstand zwischen wirksamer und toxischer Dosis ist gering.
In den letzten Jahren wurde zunehmend auch niedrig dosiertes Lithium (z. B. als Lithiumorotat) erforscht, das in deutlich geringeren Mengen eingenommen wird und keine klassische psychiatrische Wirkung entfaltet – aber möglicherweise neuroprotektive, entzündungshemmende und immunmodulierende Effekte hat. Dies macht Lithium auch für andere Erkrankungen interessant, z. B. für Long COVID und ME/CFS.
*Was ist eine Bipolare Störung?
Die bipolare Störung ist eine affektive Erkrankung, bei der es zu stark schwankenden Stimmungslagen kommt – typischerweise wechseln sich manische Phasen (mit übersteigerter Energie, Euphorie oder Reizbarkeit) mit depressiven Episoden ab. Die Erkrankung beeinträchtigt das Denken, Fühlen und Handeln und erfordert meist eine langfristige medikamentöse Behandlung.
Pathophysiologisch relevante Wirkmechanismen von Lithium
Lithium besitzt vielfältige biologische Effekte, die auch für Long COVID und ME/CFS von Interesse sind. Besonders folgende Mechanismen könnten eine Rolle spielen:
Hemmung neuroinflammatorischer Prozesse:
Long-COVID und ME/CFS gehen mit chronischer Neuroinflammation und Mikroglia-Aktivierung einher. Lithium wirkt anti-inflammatorisch im ZNS: Es unterdrückt die Aktivierung von Mikroglia (z. B. in LPS-Modellen) und senkt die Produktion proinflammatorischer Zytokine (wie IL-6, TNF-α) bei gleichzeitiger Erhöhung antientzündlicher Zytokine (z. B. IL-10) Diese Effekte wurden im Tiermodell bei Lithium-Serumkonzentrationen im therapeutischen Bereich (1–2 mM).
Darüber hinaus inhibiert Lithium Entzündungswege durch Blockade von Toll-like-Rezeptor 4 und Aktivierung des PI3K/Akt/FoxO1-Pfads, was die NF-κB-vermittelte Zytokinproduktion dämpft. In Mäusestudien reduzierte Lithium systemische und ZNS-Entzündungsmarker (TNF-α, IL-1β, COX-2 etc.) und förderte die Remyelinisierung von Nerven. Diese Entzündungsmodulation könnte bei Long-COVID/ME/CFS hilfreich sein, indem neuroinflammatorische Symptome wie „brain fog“ gemindert werden.
Mitochondriale Dysfunktion und Energiestoffwechsel:
Viele Patienten mit ME/CFS und Long-COVID zeigen Hinweise auf eine gestörte Mitochondrienfunktion (reduzierte ATP-Produktion, anhaltende Erschöpfbarkeit der Muskulatur). Interessanterweise verbessert Lithium die mitochondriale Performance in einigen Modellen. In Zellkulturen humaner Neuronen führte Lithium zu einer erhöhten oxidativen Phosphorylierung und steigerte die mitochondriale Respiration (höhere basale und maximale O₂-Verbrauchsrate). Ebenso wurde berichtet, dass Lithium die mitochondriale Funktion schützt (z. B. vor toxischen Einflüssen) und in einfachen Organismen die Energiebilanz sowie Lebensspanne erhöhen.
Mechanistisch trägt dazu bei, dass Lithium das Enzym GSK-3 hemmt – dies aktiviert den Wnt/β-Catenin-Signalweg, der Zellmetabolismus und Mitochondrienbiogenese fördern kann. Verbesserte mitochondriale Kapazität könnte helfen, die pathologische Energielücke bei Belastung, die für ME/CFS typisch ist, zu verringern.
Immunmodulation und antivirale Effekte:
Lithium beeinflusst das Immunsystem auf komplexe Weise. Es steigert beispielsweise die Anzahl von Neutrophilen, Lymphozyten und NK-Zellen im Blut und kann dadurch die unspezifische Abwehr stärken. Darüber hinaus hemmt Lithium die Replikation verschiedener Viren direkt in vitro und in Tiermodellen. Erste Hinweise dafür waren, dass Bipolar-Patienten unter Lithium seltener Erkältungen bekamen.
Lithium zeigte antivirale Aktivität gegen Herpesviren (HSV-1/-2, EBV, CMV), retrovirale Erreger (HIV) und sogar gegen mehrere Corona-Viren-Stämme. Dieser Effekt wird teils auf die GSK-3-Hemmung zurückgeführt, da GSK-3 für die Vermehrung mancher Viren wichtig ist. Für Long-COVID (wo persistierende virale Antigene oder Reaktivierungen diskutiert werden) und ME/CFS (wo latente Herpesviren ein Faktor sein könnten) ist das antivirale Potential von Lithium besonders interessant. Es könnte dazu beitragen, chronische Viruspersistenz oder -reaktivierung zu unterdrücken.
Neurotransmitter und neurotrophe Effekte:
Lithium greift in zentrale neuronale Signalwege ein, was sowohl Stimmung als auch kognitive Funktionen beeinflussen kann. Es hemmt die Inositol-Monophosphatase und damit den IP₃-Signalweg, was zur vermehrten Autophagie und veränderten Neurotransmitter-Ausschüttung führt. Weiterhin blockiert Lithium GSK-3, was die Monoamin-Neurotransmission moduliert – insbesondere Serotonin- und Dopamin-Signalwege. Durch diese Mechanismen fördert Lithium auch die Expression neurotropher Faktoren wie BDNF und die Neurogenese im Hippocampus (nachgewiesen in tierexperimentellen Studien), was langfristig die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern kann.
Insgesamt wirkt Lithium neuroprotektiv: Es stabilisiert Neuronen und Synapsen, was bei postviralen neurokognitiven Störungen (Konzentrationsproblemen, „Fibro-Fog“) hilfreich sein könnte. Interessanterweise wird Lithium in niedriger Dosierung sogar als möglicher modulatorischer Ansatz bei neurodegenerativen Erkrankungen (Alzheimer, Parkinson) untersucht, gerade wegen dieser neurotrophen und antiapoptotischen Effekte.
Zusammengefasst besitzt Lithium vielfältige Wirkungen – entzündungshemmend, immunmodulierend, antiviral, neuroprotektiv und metabolisch stabilisierend – die genau an den vermuteten Krankheitsmechanismen von Long COVID und ME/CFS ansetzen. Diese breite Wirkpalette liefert eine rationale Basis dafür, Lithium als möglichen Therapieansatz in Betracht zu ziehen, auch wenn der Nachweis eines klinischen Nutzens wie oben gezeigt noch aussteht.

Für wen eignet sich eine Lithiumtherapie – und was ist bei der Anwendung zu beachten?
Eine Lithiumtherapie – insbesondere in therapeutischer Dosierung wie bei der bipolaren Störung – eignet sich vor allem für Patient:innen ohne relevante Nieren- oder Schilddrüsenerkrankungen.
Für experimentelle Anwendungen bei Long COVID oder ME/CFS (z. B. mit Lithiumorotat) kommen eher niedrig dosierte Konzepte zum Einsatz. Diese gelten zwar als risikoärmer, sollten aber – insbesondere bei längerer Einnahme – ebenfalls mit ärztlicher Begleitung und periodischen Laborkontrollen erfolgen.
Hier sollte regelmäßig überprüft werden:
Nierenfunktion: Kreatinin, eGFR
Schilddrüse: TSH (ggf. fT3/fT4 bei Auffälligkeiten)
Elektrolyte: insbesondere Natrium und Kalium
Kalzium: da Lithium den Kalziumstoffwechsel beeinflussen kann
Bei einer Langzeit- oder Hochdosis Therapie ist weiterhin die regelmäßige Bestimmung des Lithium-Spiegels im Serum erforderlich.
Lithium wird vor allem dann diskutiert, wenn neurologische und kognitive Symptome im Vordergrund stehen – also:
Fatigue
„Brain Fog“ (Konzentrations- und Gedächtnisstörungen)
Stimmungsschwankungen oder depressive Verstimmungen
Schlafstörungen und Stressintoleranz
Darüber hinaus hat Lithium auch immunmodulierende Eigenschaften, die bei Long-COVID mit immunologischer Beteiligung experimentell von Bedeutung sein könnten. Dazu zählen:
Reaktivierung von Herpesviren (z. B. EBV, HHV-6)
Chronisch erhöhte Entzündungswerte (IL-6, TNF-α)
Infektanfälligkeit
Autoimmun-ähnliche Beschwerden wie Gelenkschmerzen oder Hautreaktionen
Lithium könnte insbesondere bei Patient:innen mit Long COVID hilfreich sein, die unter kognitiver Erschöpfung, neuropsychiatrischen Symptomen und/oder Hinweisen auf eine chronische Immunaktivierung oder Viruspersistenz leiden.
Wie ist die Studienlage zu Lithium und Long-COVID bzw. ME/CFS?
Studie (Jahr) | Design/Population | Lithium-Form & Dosis | Ergebnis |
Guttuso et al., 2024 | RCT bei Long COVID (n=52), 3 Wochen Therapie | Lithiumaspartat 10–15 mg/Tag vs. Placebo | Kein Effekt vs. Placebo auf Fatigue & „Brain Fog“ (n.s.). |
Guttuso (offen), 2024 | Offene Verlängerung (n=3) nach obiger RCT, 6 Wochen | Lithiumaspartat bis 40–45 mg/Tag | Besserung von Fatigue & Kognition bei höherer Dosis (vorläufige Evidenz). |
Massoumi & Rosenbaum, 2024 | Fallbericht Long COVID (1 Patientin, 18 Monate Symptome) | Lithiumcarbonat, Dosis für Spiegel ~1,1 mmol/L | Komplette Remission von Fatigue, Depression, Fieber & Hautläsionen bei hochnormalem Serumspiegel; Rezidiv bei Absenken. |
Murru et al., 2020 | Übersichtsartikel (Int. J. Bipolar Disord.) | – (mechanistische Betrachtung) | Antivirale Eigenschaften von Lithium beschrieben; hemmt Replikation div. DNA- und RNA-Viren (inkl. Herpes, HIV, Coronaviren). |
Die Frage, ob Lithium – insbesondere in niedriger Dosierung – bei Long COVID oder ME/CFS therapeutisch hilfreich sein kann, wird zunehmend erforscht. Auch wenn es bislang keine etablierten Empfehlungen gibt, liefern erste Studien und Fallberichte interessante Hinweise:
1. Randomisierte kontrollierte Pilotstudie (Guttuso et al., 2024)
In der bislang einzigen placebokontrollierten RCT wurde der Einsatz von niedrig dosiertem Lithiumaspartat (10–15 mg/Tag, ca. 0,35–0,7 mg Li⁺) bei 52 Long-COVID-Patient:innen mit ausgeprägter Fatigue und Hirnnebel über drei Wochen getestet. Die Ergebnisse fielen zunächst enttäuschend aus: Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied in den Bereichen Fatigue oder Kognition im Vergleich zur Placebogruppe. Die Autor:innen schlussfolgerten, dass sehr niedrige Lithiumdosen möglicherweise nicht ausreichen, um eine klinisch relevante Wirkung zu erzielen. Sie empfahlen, künftig höhere Dosierungen zu prüfen, insbesondere solche, die Serumspiegel im unteren therapeutischen Bereich erreichen.
2. Offene Dosiseskalationsstudie (Guttuso, 2024)
Im Anschluss an die RCT wurde bei drei Teilnehmer:innen eine Dosiserhöhung auf bis zu 40–45 mg Lithiumaspartat täglich (ca. 1,5–2 mg Li⁺) durchgeführt – über einen Zeitraum von sechs Wochen. Diese offen geführte Studie zeigte deutlichere Verbesserungen: Die Patient:innen berichteten über spürbare Reduktionen von Fatigue und „brain fog“, insbesondere wenn der Serum-Lithiumspiegel im Bereich von 0,18–0,49 mmol/l lag. Bei Spiegeln unter 0,10 mmol/l blieben die Effekte aus. Auch wenn die Fallzahl zu klein ist, um allgemeingültige Aussagen zu treffen, liefert diese Untersuchung wichtige Hinweise darauf, dass Lithium erst ab einer bestimmten Konzentration im Blut Wirkung entfaltet.
3. Fallbericht einer dramatischen Remission (Massoumi & Rosenbaum, 2024)
Ein besonders eindrücklicher Einzelfallbericht beschreibt eine 35-jährige Frau, die seit über 18 Monaten an schwerem Long COVID litt. Zu den Symptomen zählten Fatigue, depressive Verstimmungen, Fieberschübe und entzündliche Hautveränderungen. Unter einer Behandlung mit hochdosiertem Lithiumcarbonat, das einen Serumspiegel von 1,14 mmol/l (ca. 170–220 mg Li⁺) erreichte, kam es zu einer vollständigen Rückbildung sämtlicher Symptome. Interessanterweise führte bereits ein Absinken des Lithiumspiegels auf 0,8 mmol/l zu einem Wiederauftreten der Beschwerden, die sich beim erneuten Erreichen des höheren Spiegels erneut besserten. Der Fall spricht für eine dosisabhängige Wirkung, die vermutlich nur im oberen therapeutischen Bereich eintritt.
4. Fallserie mit Lithiumorotat (unveröffentlicht, Bericht in Interviews)
Abseits formeller Studien wurde in einer nicht-publizierten Fallserie über Besserungen bei 9 von 10 Long-COVID-Patient:innen berichtet, die niedrig dosiertes Lithiumorotat (5–15 mg/Tag, 5–15 mg Li⁺) über mehrere Wochen eingenommen hatten. Die beobachteten Effekte betrafen vor allem die kognitive Leistungsfähigkeit und das Energieniveau. Obwohl diese Daten noch nicht wissenschaftlich veröffentlicht oder peer-reviewed sind, motivierten sie die Planung der oben genannten Studien und unterstreichen das zunehmende Interesse an Lithium als Off-Label-Therapie.
5. Übersichtsartikel zu antiviralen Effekten (Murru et al., 2020)
Schon vor der COVID-19-Pandemie wurde in einem Übersichtsartikel im "International Journal of Bipolar Disorders" diskutiert, dass Lithium neben seiner psychiatrischen Wirkung auch antivirale Effekte haben könnte. Es hemmt in Zell- und Tiermodellen die Replikation verschiedener DNA- und RNA-Viren, darunter Herpesviren (EBV, HHV-6), Cytomegalievirus, HIV und sogar Coronaviren. Die antiviralen Eigenschaften basieren vermutlich u. a. auf der Hemmung des Enzyms GSK-3, das von vielen Viren zur Replikation benötigt wird. Diese mechanistischen Überlegungen liefern eine wichtige rationale Grundlage, warum Lithium auch bei Long COVID oder ME/CFS – wo latente Virusreaktivierungen diskutiert werden – therapeutisch wirken könnte.
Zusammenfassung: Während niedrig dosiertes Lithiumaspartat (<15 mg/Tag, etwa 3–5 mg Li⁺ pro Tag) in der ersten RCT keine Wirkung zeigte, deuten offene Dosissteigerungsversuche und Einzelfälle darauf hin, dass höhere Dosierungen mit Serumspiegeln ab ca. 0,3 mmol/l (ca. 1,5–2 mg Li⁺) möglicherweise bessere Effekte bei Long-COVID und ME/CFS erzielen könnten – insbesondere bei kognitiven Symptomen, Fatigue und immunologischer Aktivierung. Bislang ist Lithium in dieser Indikation jedoch nicht zugelassen und sollte nur unter ärztlicher Kontrolle und individueller Risikoabwägung eingesetzt werden.
Formen von Lithium – und wie sie sich unterscheiden
Lithium liegt in Nahrungsergänzungsmitteln und Medikamenten nie als reines Metall vor, sondern stets gebunden an ein Salz, das die Aufnahme im Körper ermöglicht. Die drei wichtigsten Formen sind:
1. Lithiumcarbonat (Li₂CO₃)
Dies ist die klassische, verschreibungspflichtige Arzneiform. Sie wird seit Jahrzehnten in der Psychiatrie verwendet, insbesondere zur Behandlung der bipolaren Störung. Lithiumcarbonat enthält ca. 18,8 % reines Lithium (Li⁺) – das bedeutet:
300 mg Lithiumcarbonat ≈ 56 mg elementares Lithium. Es wird in hoher Dosierung (600–1200 mg/Tag) eingenommen, mit dem Ziel, Serumspiegel zwischen 0,6 und 1,0 mmol/l zu erreichen. Eine engmaschige Laborkontrolle ist erforderlich.
2. Lithiumorotat (Li-Orotat)
Diese Form ist ein Nahrungsergänzungsmittel (in Deutschland nicht offiziell als Arznei zugelassen), bei dem das Lithium an Orotsäure gebunden ist. Lithiumorotat enthält etwa 3,8 % elementares Lithium.
130 mg Lithiumorotat ≈ 5 mg elementares LithiumDiese Form wird meist in sehr niedriger Dosierung (1–20 mg Li⁺/Tag) verwendet – oft ohne Laborkontrolle. Es gibt Hinweise aus Tierstudien, dass Lithiumorotat effizienter ins Gehirn gelangen könnte als Lithiumcarbonat. Klinisch ist dieser Vorteil jedoch noch nicht bewiesen.
3. Lithiumaspartat (Li-Aspartat)
Lithiumaspartat ist ein weiteres frei verkäufliches Supplement (v. a. in den USA) und ähnelt in Anwendung und Gehalt dem Lithiumorotat. Auch hier gilt: ca. 5–10 mg elementares Lithium pro Tablette wie der RCT zu Long COVID (Guttuso, 2024) wurde Lithiumaspartat eingesetzt.
Wie lassen sich die Formen vergleichen?
Um die verschiedenen Salze vergleichen zu können, ist der entscheidende Wert die Menge an elementarem Lithium (Li⁺) – also dem wirklich aktiven Bestandteil. Ein Vergleich:
Präparat | Elementarer Lithiumgehalt pro 100 mg |
Lithiumcarbonat | ca. 18,8 mg Li⁺ |
Lithiumorotat | ca. 3,8 mg Li⁺ |
Lithiumaspartat | ca. 3,5–4,5 mg Li⁺ |
Allerdings unterscheiden sich die Salze nicht nur im Gehalt, sondern möglicherweise auch in ihrer Bioverfügbarkeit: Tierstudien deuten darauf hin, dass Lithiumorotat höhere Lithiumspiegel im Gehirn erreichen kann als gleich hohe Dosen Lithiumcarbonat. Ob das auch beim Menschen zutrifft, ist derzeit unklar.
Was bedeutet das für die Anwendung?
Lithiumcarbonat eignet sich für hochdosierte Therapien mit präziser Spiegelkontrolle, z. B. bei bipolaren Störungen oder in kontrollierten Off-Label-Versuchen bei Long COVID.
Lithiumorotat und Lithiumaspartat werden eher niedrig dosiert verwendet, v. a. bei Off-Label-Experimenten im Bereich Long-COVID, ME/CFS oder Neuroprotektion – meist ohne ärztliche Überwachung, was nicht empfohlen wird.
Welche Dosierung wendet man bei Long-COVID und ME/CFS an?
Aus Fallberichten und offenen Studien ergibt sich ein möglicher vorsicht geschätzter Wirkbereich zwischen 2 und 10 mg elementarem Lithium (Li⁺) pro Tag. Dieser Bereich bleibt klar unterhalb der therapeutischen Spiegel psychiatrischer Lithiumtherapien, scheint aber bei manchen Patient:innen bereits Effekte zu zeigen.
Zieldosis Li⁺ (elementar) | Lithiumorotat (≈ 3,8 % Li⁺) | Lithiumaspartat (≈ 4–5 % Li⁺) |
2 mg Li⁺/Tag | ≈ 50–55 mg Lithiumorotat | ≈ 40–50 mg Lithiumaspartat |
5 mg Li⁺/Tag | ≈ 130 mg Lithiumorotat | ≈ 100–125 mg Lithiumaspartat |
10 mg Li⁺/Tag | ≈ 260 mg Lithiumorotat | ≈ 200–250 mg Lithiumaspartat |

Sicherheit und Nebenwirkungen (Long COVID/CFS vs. bipolare Erkrankung)
Auch wenn Lithiumorotat oder Lithiumaspartat in sehr niedrigen Dosierungen verwendet wird, handelt es sich dennoch um pharmakologisch wirksames Lithium – das heißt: Wirkung und Nebenwirkung liegen nahe beieinander. Die gute Nachricht ist, dass Lithium in niedriger Dosierung meist gut verträglich ist – dennoch sind einige Punkte zu beachten.
Typische Nebenwirkungen bei niedriger Dosierung (2–10 mg Li⁺ pro Tag)
In den bisher bekannten Studien und Fallberichten zeigten sich kaum relevante Nebenwirkungen, wenn die Einnahme im Bereich von bis zu 10 mg elementarem Lithium pro Tag blieb. Möglich sind jedoch:
Leichte Übelkeit oder Völlegefühl (vor allem nüchtern)
Feiner Händetremor bei empfindlichen Personen
Unruhe oder Müdigkeit (selten – individuell verschieden)
Kopfschmerzen oder „benommenes Gefühl“ bei zu schneller Dosiserhöhung
Diese Symptome sind meist vorübergehend und bilden sich bei Dosisreduktion schnell zurück.
Potenzielle Risiken bei längerer Einnahme
Auch in niedriger Dosierung kann sich Lithium langfristig im Körper anreichern, da es ausschließlich über die Nieren ausgeschieden wird. Daher ist es wichtig, folgende Risiken zu kennen:
Nierenfunktion: Bei eingeschränkter Nierenleistung kann sich Lithium im Blut anreichern und zu Überdosierung führen – selbst bei kleinen Mengen.
Schilddrüse: Lithium kann bei empfindlichen Personen die Schilddrüsenfunktion dämpfen (TSH-Anstieg, selten Hypothyreose).
Interaktionen: Medikamente wie ACE-Hemmer, Diuretika, NSAIDs (Ibuprofen!) können die Lithiumausscheidung hemmen und den Spiegel erhöhen.
Flüssigkeitsmangel (z. B. bei Durchfall, Fieber, Hitze, Fasten) kann ebenfalls zur Akkumulation führen.
Es kann potenziell zu neurologischen Symptomen kommen, wie einem feinen Tremor, Konzentrationsstörungen oder verwaschene Sprache
Diese Risiken betreffen vor allem die Langzeitanwendung – für eine 4- bis 8-wöchige Testphase sind sie bei gesunden Patient:innen überschaubar, sollten aber trotzdem überwacht werden.
Empfohlene Sicherheitsmaßnahmen
Um Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen und Komplikationen zu vermeiden:
Basis-Laborkontrolle vor Beginn: Kreatinin, eGFR, TSH, Natrium, Kalium
Verlaufskontrolle nach 4–6 Wochen: erneut TSH und Kreatinin
Bei Einnahme > 3 Monate: regelmäßige Kontrollen alle 3–6 Monate
Optional kann ein Serum-Lithiumspiegel gemessen werden, wenn eine Dosis über 10 mg Li⁺ überschritten wird, bei unsicherer Verträglichkeit oder auch zur genaueren Therapieeinstellung.
Wann sollte kein Lithium eingenommen werden?
Kontraindikationen auch bei niedriger Dosis:
Eingeschränkte Nierenfunktion (eGFR < 60 ml/min)
Nicht behandelte Schilddrüsenunterfunktion
Schwangerschaft (v. a. im 1. Trimester)
Gleichzeitige Einnahme lithiumpotenzierender Medikamente (ACE-Hemmer, Diuretika, NSAIDs) ohne ärztliche Überwachung
Neigung zu Dehydratation / Flüssigkeitsmangel
Obwohl Lithiumorotat und Lithiumaspartat in Nahrungsergänzungsform erhältlich sind, handelt es sich dabei nicht um harmlose Vitamine, sondern um biologisch aktive Substanzen, die auf zentrale Prozesse im Nervensystem, Immunsystem und Stoffwechsel wirken. Deshalb gilt:
Die Anwendung sollte immer in ärztlicher Begleitung erfolgen.
Ein individueller Therapieversuch mit niedrig dosiertem Lithium bei Long COVID oder ME/CFS kann sinnvoll sein – aber nur unter bestimmten Voraussetzungen und nach ärztlicher Risikoabwägung.
Lithium als therapeutische Option für Long COVID und ME/CFS?
Lithium gehört zu den ältesten Psychopharmaka und entfaltet in verschiedensten biologischen Systemen Wirkung – eine echter „Dirty Drug“ im positiven Sinne. Die aktuellen Erkenntnisse deuten an, dass Lithium theoretisch viele pathologische Aspekte von Long-COVID und ME/CFS adressieren könnte: chronische Entzündung, neuronale Dysfunktion, latente Virusaktivität und energetische Defizite. Einige vorläufige klinische Beobachtungen – vom Einzelfall bis zur kleinen offenen Serie – zeigen mögliche Verbesserungen insbesondere der Fatigue und kognitiven Symptome, jedoch meist erst bei höheren Lithiumspiegeln (im unteren therapeutischen Bereich). Gleichzeitig hat die erste placebokontrollierte Studie mit wirklich niedriger Dosis keine Wirksamkeit gezeigt, was zur Ernüchterung mahnt.
Aus heutiger Sicht lässt sich Lithium noch nicht als etablierte Therapie für Long-COVID oder ME/CFS empfehlen. Es handelt sich um einen experimentellen Off-Label-Ansatz. Patienten und Ärzte, die einen Therapieversuch wagen, sollten dies idealerweise im Rahmen von Studien oder zumindest mit engmaschigem Monitoring tun. Niedrigdosiertes Lithiumorotat mag verlockend sein, da es rezeptfrei erhältlich und scheinbar harmlos ist – doch die Evidenz für Nutzen ist dünn und eine unkontrollierte Einnahme birgt das Risiko unerwünschter Kumulation. Höherdosiertes Lithium (z. B. Lithiumcarbonat in pharmakologischer Dosierung) könnte zwar wirksamer sein, bringt aber ein bekanntes Bündel an potenziell dauerhaften Nebenwirkungen und notwendigen Vorsichtsmaßnahmen mit sich.
Insgesamt lautet die kritische Einordnung: Lithium ist eine interessante Option mit wissenschaftlichem Potenzial, aber aktuell noch kein risikoloser „Game Changer“ in der Behandlung von Long-COVID/ME/CFS. Weitere Forschung – vorzugsweise größere, kontrollierte Studien mit mittlerer Dosierung – sind erforderlich, um eindeutig zu klären, ob der Nutzen die Risiken überwiegt. Bis dahin sollte Lithium nur mit klarer Indikation (z. B. komorbide affektive Störung) oder im Rahmen eines gut überwachten Off-Label-Versuchs eingesetzt werden. Die medizinische Gemeinschaft bleibt gespannt, ob sich das alte Medikament Lithium in diesem neuen Anwendungsgebiet bewährt oder ob sich die hoffnungsvollen mechanistischen Überlegungen letztlich nicht in der Klinik realisieren lassen. Solange gilt: vorsichtiges Interesse ja – aber keine voreilige Euphorie.
Quellen:
Guttuso, T. J., Zhu, J., & Wilding, G. E. (2024). Lithium Aspartate for Long COVID Fatigue and Cognitive Dysfunction: A Randomized Clinical Trial. JAMA Network Open, 7(10), e2436874.
Massoumi, L. E., & Rosenbaum, A. (2024). Case Report on High Dose Lithium Treatment for Post-COVID Depression, Recurrent Fevers, and Skin Lesions. Psychopharmacology Bulletin, 54(2).
Murru, A., Manchia, M., Hajek, T., Nielsen, R. E., Rybakowski, J. K., Sani, G., Schulze, T. G., Tondo, L., Bauer, M., & International Group for The Study of Lithium Treated Patients (IGSLi). (2020). Lithium's antiviral effects: a potential drug for CoViD-19 disease? International Journal of Bipolar Disorders, 8(1), 21.
University at Buffalo. (2024, October 2). Guttuso Study Looks at Lithium Aspartate Dosing Levels for Long COVID.
Van Beusekom, M. (2024, October 2). Lithium aspartate didn't relieve long-COVID fatigue, brain fog in trial participants. Center for Infectious Disease Research and Policy (CIDRAP).
Gotkine, E. (2024, October 15). Lithium Aspartate Not Effective for Neurologic Long COVID Fatigue.
Murru, A., Manchia, M., Hajek, T., Nielsen, R. E., Rybakowski, J. K., Sani, G., Schulze, T. G., Tondo, L., Bauer, M., & International Group for The Study of Lithium Treated Patients (IGSLi). (2020). Lithium's antiviral effects: a potential drug for CoViD-19 disease? International Journal of Bipolar Disorders, 8(1), 21.
टिप्पणियां