Auf welche Studienlage beziehen wir uns beim Einsatz von LDN bei ME/CFS und Long-COVID?
Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine komplexe Erkrankung, die durch anhaltende Fatigue, Belastungsintoleranz, kognitive Beeinträchtigungen und eine Vielzahl weiterer Symptome gekennzeichnet ist. Trotz intensiver Forschung gibt es bisher keine allgemein anerkannte, spezifische Behandlung. Eine vielversprechende Option stellt der Einsatz von Low-Dose Naltrexon (LDN) dar, ein Medikament, das in niedrigen Dosen (3,0–4,5 mg/Tag) eine immunmodulierende Wirkung im Nervensystem haben könnte. Mehrere Studien untersuchen bislang die Sicherheit und Wirksamkeit von LDN bei Long-COVID und ME/CFS-Patient:innen.
Wirkmechanismus von Low-Dose-Naltrexon
Der Wirkmechanismus von LDN basiert auf seiner Funktion als Opioidantagonist, der in niedrigen Dosen die endogene Produktion von Endorphinen steigert. Diese erhöhte endogene Opioidaktivität könnte eine immunmodulierende Wirkung haben, die bei ME/CFS-Patient hilfreich ist. Eine weitere Hypothese ist die Beeinflussung pro-inflammatorischer Zytokine, was die entzündungshemmenden Eigenschaften von LDN, vor allem im zentralen Nervensystem, unterstreicht. Zusätzlich gibt es Hinweise, dass LDN die Funktion von TRPM3-Ionenkanälen in natürlichen Killerzellen verbessern kann, die bei ME/CFS häufig beeinträchtigt sind.
Ein Blick auf die Studie von Polo et al. (2019) bzgl. LDN & ME/CFS
Methodik der Studie
Die retrospektive Untersuchung umfasste 218 Patient, die zwischen 2010 und 2014 in der Unesta Sleep and Breathing Clinic in Finnland behandelt wurden. Diese Patient erfüllten die diagnostischen Kriterien für ME/CFS und erhielten eine Behandlung mit LDN. Die Analyse basierte auf medizinischen Berichten und erfasste den Behandlungserfolg sowie Nebenwirkungen. Der mittlere Beobachtungszeitraum betrug 1,7 Jahre.
Ergebnisse der Studie
Ein bemerkenswerter Anteil von 73,9 % der Patient:innen zeigte eine positive Reaktion auf LDN. Zu den berichteten Verbesserungen zählten eine gesteigerte Wachsamkeit (51,4 %), bessere kognitive Leistung (21,1 %) und gesteigerte körperliche Leistungsfähigkeit (23,9 %). Schmerzlinderung wurde bei 16,5 % der Patient beobachtet, während 18,3 % keine Verbesserung meldeten. Die meisten Nebenwirkungen (z. B. Übelkeit und Schlaflosigkeit) traten zu Beginn der Behandlung auf und klangen in der Regel nach wenigen Wochen ab.
Schlussfolgerung
Die Studie zeigt, dass LDN eine potenzielle Behandlungsoption für ME/CFS-Patient:innen darstellen könnte, insbesondere aufgrund der hohen Ansprechrate und des positiven Sicherheitsprofils. Dennoch bleibt festzuhalten, dass diese Ergebnisse auf retrospektiven Daten ohne Kontrollgruppe beruhen und auch keine weiteren statistischen Werte angegeben werden.
Quelle
Polo, O., Pesonen, P., & Tuominen, E. (2019). Low-dose naltrexone in the treatment of myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome (ME/CFS). Fatigue: Biomedicine, Health & Behavior, 7(4), 207-217.
Ein Blick auf die Studie von O'Kelly et al. (2022) bzgl. LDN & Long-COVID
Methodik der Studie
Diese prospektive, interventional durchgeführte Pre-Post-Kohortenstudie wurde in der Mater Misericordiae University Hospital in Dublin durchgeführt. Insgesamt 52 Patient (Medianalter 43,5 Jahre, 76,9 % Frauen) wurden eingeschlossen, die seit mindestens 12 Wochen an Post-COVID-Symptomen litten. Die Proband:innen erhielten eine Low-Dose-Naltrexon-Behandlung mit einer Dosierung von 1 mg pro Tag, die nach einem Monat auf 2 mg pro Tag gesteigert wurde. Am Ende der zweimonatigen Behandlungsperiode füllten die Teilnehmer einen standardisierten Fragebogen aus, der sieben Parameter erfasste, darunter Schlafstörungen, Energielevel, Schmerzen, Konzentrationsfähigkeit und allgemeines Wohlbefinden. Das primäre Ziel war es zu beweisen, dass LDN für Long-COVID-Patienten sicher ist.
Ergebnisse und klinische Relevanz
Von den 52 Studienteilnehmer setzten 38 die LDN-Behandlung fort, und 36 füllten den Fragebogen am Ende der Behandlungsperiode aus. Verbesserungen wurden in 6 von 7 gemessenen Parametern beobachtet:
Die Schmerzreduktion zeigte eine starke Verbesserung (Effektgröße −0,534; p < 0,001). Schlafstörungen verbesserten sich signifikant (p < 0,001). Auch die Konzentrationsfähigkeit und das Energielevel zeigten eine signifikante Verbesserung (p ≤ 0,001).
Obwohl die Stimmung sich nicht signifikant besserte (p = 0,054), zeigten die meisten Teilnehmenden eine Verbesserung ihrer alltäglichen Funktionalität und ihres Wohlbefindens. Lediglich zwei Patient brachen die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen (Durchfall und Fatigue) ab.
Schlussfolgerung und Ausblick
Die Studie von O'Kelly et al. (2022) liefert wertvolle Hinweise darauf, dass LDN eine sichere und potenziell effektive Behandlungsoption für Long-COVID-Patient darstellen könnte. Da die Studie ohne Kontrollgruppe durchgeführt wurde, sind weitere randomisierte, kontrollierte Studien notwendig, um diese Ergebnisse zu bestätigen und das Anwendungspotenzial von LDN umfassend zu bewerten.
Quelle
O'Kelly B, Vidal L, McHugh T, Woo J, Avramovic G, Lambert JS.Safety and efficacy of low dose naltrexone in a long covid cohort; an interventional pre-post study.* Brain Behav Immun Health. 2022;24:100485. doi:10.1016/j.bbih.2022.100485.
Ein Blick auf die Studie von Bolton et. al (2020) bzgl. LDN & CFS
Methodik der Studie
In diesem Artikel zur Low Dose Naltrexontherapie bei "Chronischem Fatigue-Syndrom" werden Fallbeispiele und kleine Fallstudien analysiert. Die täglichen Dosierungen von LDN variieren von 0,25 mg bis hin zu 12 mg pro Tag. Typischerweise wird eine Anfangsdosis von 1 bis 1,5 mg verwendet, die schrittweise auf 4,5 mg oder mehr gesteigert wird, um die individuelle Verträglichkeit und Wirksamkeit zu optimieren. Einige Patient:innen haben von Dosierungen bis zu 9 mg oder mehr profitiert. Diese Dosissteigerung erfolgt über einen Zeitraum von mehreren Wochen, um Nebenwirkungen zu minimieren.
Ergebnisse der Studien
Die vorliegenden Berichte dokumentieren eine Vielzahl von Verbesserungen: Viele Patient berichteten über eine deutliche Verringerung der chronischen Erschöpfung und Schmerzen. Einige Patient erfuhren einen erholsameren Schlaf und verbesserten ihre kognitiven Fähigkeiten. LDN wurde in den meisten Fällen gut vertragen. Zu den gelegentlich auftretenden Nebenwirkungen zählen Kopfschmerzen und erhöhte Müdigkeit, insbesondere zu Beginn der Behandlung.
Wertigkeit der Ergebnisse
Die derzeitigen Erkenntnisse basieren in diesem Artikel auf Fallberichten und kleinen Beobachtungsstudien. Obwohl diese Berichte vielversprechend sind, fehlen umfangreiche, randomisierte kontrollierte Studien, um die Ergebnisse mit höherer wissenschaftlicher Evidenz zu untermauern. Die vorliegenden Daten legen nahe, dass LDN eine immunmodulierende Wirkung hat, die unter anderem durch die Hemmung von Mikroglia und entzündlichen Prozessen vermittelt werden könnte.
Schlussfolgerung und Ausblick
Trotz des vielversprechenden Potenzials von LDN, insbesondere bei schwer behandelbaren chronischen Zuständen wie CFS, besteht ein dringender Bedarf an groß angelegten, methodisch hochwertigen Studien, um die Wirksamkeit und die optimale Dosierung umfassend zu bestätigen. Die bisherigen Berichte zeigen, dass LDN eine sichere Option darstellt und bei einigen Patient eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität bewirken kann.
Quelle
Bolton MJ, Chapman BP, Van Marwijk H. Low-dose naltrexone as a treatment for chronic fatigue syndrome. BMJ Case Rep. 2020;13. doi:10.1136/bcr-2019-232502.
Was bringt die Zukunft nach Naik H, Cooke E und Boulter T, et al. bzgl. LDN & Long-COVID?
Methodik der Studie
Die Studie ist ein randomisiertes, doppelblindes, placebokontrolliertes Phase-II-Trial, das in British Columbia, Kanada, durchgeführt wird. 160 Patienten mit einem Post-COVID-Syndrom werden im Verhältnis 1:1 auf zwei Gruppen verteilt: eine erhält LDN, die andere ein Placebo. Die Dosierung startet bei 1 mg pro Tag und wird schrittweise auf 4,5 mg pro Tag erhöht, abhängig von der Verträglichkeit der Teilnehmenden. Die Dauer der Studie beträgt 16 Wochen, mit Evaluierungen zu Beginn sowie nach 6, 12 und 16 Wochen. Die Hauptauswertung erfolgt anhand der Fatigue Severity Scale (FSS), wobei die Ergebnisse mit verschiedenen sekundären Messgrößen wie Schmerzintensität, allgemeinem Symptomstatus und Lebensqualität ergänzt werden.
Dosierungen und Anwendung
Die Intervention sieht eine initiale Dosis von 1 mg vor, die bis auf maximal 4,5 mg pro Tag gesteigert werden kann. Diese Dosierung wurde basierend auf früheren erfolgreichen Anwendungen von LDN in verwandten Studien und Fällen gewählt. Bei Unverträglichkeiten dürfen Teilnehmende zu einer niedrigeren, verträglicheren Dosis zurückkehren.
Ziel und erwartete Ergebnisse
Die Studie zielt darauf ab, die Wirksamkeit von LDN in der Reduktion der Schwere der Fatigue bei Post-COVID-Syndrom bzw. Long-COVID zu bestimmen. Sekundäre Ziele umfassen die Schmerzlinderung, Verbesserung der Lebensqualität und Steigerung der Aktivität. Die Ergebnisse sollen Ende 2024 vorliegen und könnten, bei positivem Ausgang, eine Basis für weitergehende Phase-III-Studien bilden. Sollte die Studie positive Ergebnisse liefern, würde dies das Vertrauen in LDN als potenzielles Therapeutikum stärken und eine neue Behandlungsoption für viele Patient:innen mit Post-COVID-Syndrom und ME/CFS bieten.
Dieses Forschungsvorhaben wird mit Spannung erwartet und könnte sowohl zur Behandlung von PCS als auch ME/CFS Anwendung finden.
Quellen
Naik H, Cooke E, Boulter T, et al. Low-dose naltrexone for post-COVID fatigue syndrome: a study protocol for a double-blind, randomised trial in British Columbia. BMJ Open. 2024;14. doi:10.1136/bmjopen-2024-085272.
Fazit
Die Evidenzlage für die Therapie mit LDN (Low Dose Naltrexone) bei Long-COVID, ME/CFS und anderen verwandten Erkrankungen ist bisher eher gering. Zwar existieren einzelne Studien, deren Aussagekraft jedoch aufgrund der fehlenden Randomisierung und der geringen Teilnehmerzahl nicht mit der von RCTs (Randomized Controlled Trials) vergleichbar ist. Dennoch berichten zahlreiche Patient mit ME/CFS und Long-COVID von positiven Erfahrungen und einer Verbesserung ihrer Symptome unter der Anwendung von LDN, was auf eine vielversprechende, wenn auch vorläufige, Evidenz hinweist.
Die Ergebnisse der neuen Studie von Naik, Cooke und Boulter, deren Veröffentlichung mit Spannung erwartet wird, könnten weitere Erkenntnisse und verfestigte Handlungshinweise liefern. Dennoch bleibt es ein langer Weg, bis eine eindeutige Evidenzbasis geschaffen ist und das Medikament möglicherweise offiziell als Therapiemöglichkeit zugelassen wird.
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