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AutorenbildDr. med. Kristina Schultheiß

Der Stellenwert von Pregnenolon in der zukünftigen Therapie von ME/CFS und Long-COVID

Aktualisiert: vor 5 Tagen

Was sind die Zusammenhänge zwischen dem Vorläuferhormon und ME/CFS bzw. Long-COVID?


Dunkelgrüne Blätter und eine Schale mit weißen Pillen
Wie vielversprechend ist eine "Hormon"-Therapie?

Was ist Pregnenolon?

Pregnenolon ist ein Vorläuferhormon, das für die Synthese vieler Steroidhormone, wie Progesteron, Testosteron, Östradiol, Cortisol und Mineralkortikoide verantwortlich ist. Es wird hauptsächlich in den Mitochondrien aus Cholesterin synthetisiert und spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des Hormonhaushalts.


Wichtige Funktionen von Pregnenolon:

  1. Regulation des Stresshormonhaushalts: Pregnenolon wird in Cortisol umgewandelt, das bei der Bewältigung von Stress und in entzündlichen Prozessen eine Schlüsselrolle spielt.

  2. Regulation des Wasserhaushalts: Pregnenolon beeinflusst die Synthese von Mineralkortikoiden wie Aldosteron, die den Wasser- und Salzhaushalt regulieren und damit den Blutdruck stabilisieren.

  3. Regulation der Sexualhormone: Es steuert die Produktion von Testosteron und Östradiol und wirkt somit auf die Fortpflanzung und das Sexualverhalten


Pregnenolon als Neurosteroid

Pregnenolon ist nicht nur ein Vorläufer von Steroidhormonen, sondern wirkt auch direkt als Neurosteroid. Das bedeutet, dass es unabhängig von der Peripherie im Gehirn synthetisiert führt und dort auch höhere Konzentration als im Blut aufweisen kann. Hier erfüllt es wichtige Funktionen:

  • GABAA-Rezeptoren: Die inhibitorische Wirkung der GABAA-Rezeptoren wird Pregnenolon abgeschwächt, was zu einer erhöhten neuronale Aktivität führt.

  • NMDA-Rezeptoren: Die exzitatorische Wirkung der NMDA-Rezeptoren wird aktiviert, was ebenfalls zu einer Steigerung der Aktivität führt.

  • Acetylcholin: Die Sekretion von Acetylcholin und somit die Übertragung von Nervenimpulsen an der neuromuskulären Endplatte wird verstärkt, ebenso wie die Stimulation im parasympathischen Nervensystem.

  • Sigma-1-Rezeptoren: Pregnenolon moduliert diese Rezeptoren, die eine schützende Wirkung gegen Zellstress haben und neuroprotektiv wirken. Zudem scheint Pregnenolon eine positive Wirkung auf die Regulierung der Schmerzwahrnehmung zu haben.


Dies kann folgende Wirkungen haben:

  • Verbesserung der kognitiven Funktionen: Pregnenolon unterstützt Gedächtnis, Wahrnehmung und Lernfähigkeit.

  • Stimmungsregulation: Durch die Beeinflussung der GABAA-Rezeptoren hat Pregnenolon eine stressmindernde und angstlindernde Wirkung. Ebenfalls soll er durch die Schlafqualität verbessert werden.

  • Schutz der Nervenzellen: Pregnenolon scheint neuroprotektive Eigenschaften zu haben, das heißt, es schützt Nervenzellen vor Schäden und fördert die Regeneration geschädigter Zellen (Neurogenese).

  • Regulierung des Nervensystems: Die Stimulation der Acetylcholinfreisetzung führt zu einer verstärkten Signalübertragung im parasympathischen Teil des autonomen Nervensystems, was einer Sympathikusüberaktivierung entgegenwirken kann.

  • Verbesserung der Muskelfunktion: Die Verbesserung der Muskelfunktion erfolgt durch eine vermehrten Ausschüttung von Acetylcholin. Dies fördert eine effizientere Übertragung der Nervenimpulse an der neuromuskulären Endplatte, was zu einer gesteigerten Muskelkraft und -koordination führt.

  • Schmerzwahrnehmung: Durch ihre Wirkung an den Sigma-1-Rezeptoren )die nicht zu den Opiatrezeptoren gehören, jedoch eine ähnliche Wirkung entfalten können) helfen sie dabei das Schmerzempfinden positiv zu regulieren.


Zusammenhang mit ME/CFS und Long-COVID

Bei Patienten mit ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome), der chronifizierten Form von Long-COVID, wird häufig ein niedriger Pregnenolonspiegel im Blut festgestellt. Dies kann auf eine Mitochondrienstörung oder einen sogenannten "Pregnenolon-Steal" hinweisen, bei dem der Körper unter Stress vermehrt Pregnenolon in Cortisol umwandelt. Dadurch wird weniger Pregnenolon für die Produktion anderer wichtiger Hormone wie Mineralkortikoide und Sexualhormone verfügbar. Dies kann zu einer Vielzahl von Symptomen führen, gesondert ist hier das hypovolämischem POTS (Posturales Tachykardiesyndrom) zu nennen.


Zudem könnte ein relativer oder absoluter Pregnenolonmangel eine Neuroinflammation fördern und damit neurologische und kognitive Symptome verschlimmern.


Ein grüner Hintergrund und eine Hand davor die ein weißes Plastik Gehirn hält
Als Neurosteroid kann Pregnenolon einer Neuroinflammation entgegenwirken.

Ursachen für einen Pregnenolonmangel bei ME/CFS und Long-COVID

In den späteren Stadien von Long-COVID und ME/CFS kann es zu einer Schädigung und Fehlfunktion der Mitochondrien kommen, einer sogenannten sekundären Mitochondriopathie. Eine Schädigung der Mitochondrien geht mit einer Einschränkung in der Energie- und Hormonproduktion einher und erklärt viele Symptome bei ME/CFS, insbesondere Fatigue und PEM.


Damit könnte ebenfalls erklärt werden, dass bei Patienten mit Long-COVID und ME/CFS häufig die LDL- und Gesamtcholesterinwerte erhöht sind; Cholesterin kann durch die Mitochondrienstörung nicht weiter zu Steroidhormonen verarbeitet werden. Dies kann jedoch ebenfalls als Ausdruck einer (Gefäß-)entzündung und oxidativen Stresses gesehen werden.


Ursachen für eine Mitochondriopathie können sein:

  1. Sauerstoffunterversorgung (Sauerstoffhypothese): Eine Endotheldysfunktion und Mikrogerinnsel reduzieren die Sauerstoffversorgung der Zellen, was die Funktion der Mitochondrien beeinträchtigt und sie letztendlich schädigt.

  2. Autoimmunreaktionen: Autoantikörper können gegen mitochondriale Enzyme oder Rezeptoren (GPCR) gerichtet sein, was die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung der Mitochondrien beeinträchtigt.

  3. Entzündungen und oxidativer Stress: Chronische Entzündungen ("silent inflammation") führen zu erhöhtem oxidativem Stress, der die Mitochondrien zusätzlich belastet und letztendlich schädigt.

  4. Nährstoffmangel: Durch langwierige hyperinflammative Prozesse und erhöhtem Verbrauch kann zu einem Mangel an essenziellen Nährstoffen kommen, der verhindert, dass sich die Mitochondrien erholen können.


Da es sich bei ME/CFS um eine multisystemische und komplexe Erkrankung handelt, sind sekundäre Mitochondriopathien nur ein Aspekt der möglichen Entstehungsmechanismen und Behandlungsansätze. Das Therapiekonzept sollte weiterhin multimodal sein.


Diagnostik und potenzielle Anwendung von Pregnenolon in der Therapie von ME/CFS und Long-COVID

Eine Pregnenolon-Substitution könnte bei nachgewiesenem Mangel und sekundärer Mitochondriopathie Teil einer umfassenden Therapie sein. Pregnenolon kann im Blut getestet werden, und gleichzeitig kann ein erweitertes Profil zur ATP-Produktion bestimmt werden, um zusätzliche Informationen über die mitochondriale Funktion zu erhalten.


Die Therapie könnte folgende Effekte haben:

  • Wiederherstellung der hormonellen Balance: Pregnenolon fördert unnd reguliert die Synthese von Cortisol, Mineralkortikoiden und Sexualhormonen, und könnte zur Behandlung eines hypovolämen PoTS, Fatigue, PEM und zur Regulierung des Nervensystems eingesetzt werden.

  • Neurosteroid-Wirkung: Pregnenolon könnte durch seine neuroprotektiven und antiinflammatorischen Eigenschaften gegen eine Neuroinflammation wirken und insbesondere kognitive Symptome ("brain fog") und neurologische Symptome oder Störungen wie der Small Fiber-Neuropathie zu behandeln.


Voraussetzungen und Nebenwirkungen

Eine Pregnenolon-Substitution bei ME/CFS und Long-COVID sollte vornehmlich bei nachgewiesenem Mangel und unter ärztlicher Kontrolle erfolgen, um eine sichere Anwendung zu gewährleisten. In therapeutischen Dosen ist Pregnenolon gut verträglich, nennenswerte Nebenwirkungen können Kopfschmerzen, Migräne oder Zittrigkeit sein.

In hohen Dosen können bei einer gewissen Prädisposition Krampfanfälle auftreten, insbesondere bei bekannten Epilepsie-Patienten.


Pregnenolon ist in Deutschland nicht verschreibungspflichtig. Es wird häufig als Nahrungsergänzungsmittel verkauft und kann rezeptfrei erworben werden. Es gibt jedoch Unterschiede in der Qualität und den Dosierungen der Präparate, weshalb es wichtig ist, hochwertige Produkte zu verwenden und die Einnahme mit einem Arzt abzusprechen, insbesondere bei einer therapeutischen Anwendung zur Hormonregulierung oder bei spezifischen Erkrankungen wie ME/CFS.


Gibt es Studien bezüglich Pregnenolon und Long-COVID beziehungsweise ME/CFS?

Es gibt aktuell kaum Studien zur therapeutischen Anwendung. Ein Grund dafür ist, dass es sich um ein körpereigenes Hormon oder bzw. Vorläuferhormon handelt, das nicht patentierbar ist. Daher ist es für pharmazeutische Unternehmen uninteressant, in diesen Forschungsbereich zu investieren, da kein wirtschaftlicher Gewinn erwartet wird.


Vorhanden sind hauptsächlich Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung und Tierexperimenten, ergänzt durch Studien an Patienten mit Schizophrenie und kleinen, oft selbst finanzierte Studien von engagierten, altruistisch motivierten Ärzten und Forschern. Derzeit ist jedoch nicht absehbar, dass in diesem Bereich in naher Zukunft größere, systematische Forschungsprojekte initiiert werden.


Fazit

Pregnenolon bietet vielversprechende therapeutische Ansätze zur Behandlung von ME/CFS, insbesondere bei mitochondrialen Funktionsstörungen und Neuroinflammation. Seine Rolle als Neurosteroid und Hormonvorläufer könnte helfen, die bei diesen Erkrankungen zugrunde liegenden Dysfunktionen zu lindern. Allerdings ist weitere Forschung notwendig, um die genauen Mechanismen und Anwendungsmöglichkeiten von Pregnenolon besser zu verstehen und auch weitere Hinwiese auf dessen Wirksamkeit zu gewinnen, was jedoch aktuell nicht absehbar ist.


Quellen

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  • Hormonzentrum an der Oper. (2024). Pregnenolon: Die Mutter aller Steroidhormone. Hormonzentrum an der Oper.

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