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Oxidativer und Nitrosativer Stress – Die Bedeutung von Antioxidantien bei Long-COVID und ME/CFS

Autorenbild: Dr. med. Kristina SchultheißDr. med. Kristina Schultheiß

Oxidativer und nitrosativer Stress: Schlüsselmechanismen bei Long-COVID und ME/CFS

Früchte mit anti oxidants und health eingeritzt
Gegen oxidativen und nitrosativen Stress werden vom Körper Antioxidanzien eingesetzt

Oxidativer und nitrosativer Stress sind zentrale Konzepte in der Biologie, die in den letzten Jahren verstärkt im Kontext chronischer postinfektiöser Syndrome wie Long-COVID und Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) untersucht wurden. Diese Stressmechanismen spielen eine Schlüsselrolle bei zellulären Schäden und Entzündungen, die zu den typischen Symptomen dieser Krankheitsbilder beitragen können.


Was ist oxidativer Stress?

Oxidativer Stress entsteht durch ein Ungleichgewicht zwischen der Produktion freier Radikale, insbesondere reaktiver Sauerstoffspezies (ROS), und der Fähigkeit des Körpers, diese durch Antioxidantien zu neutralisieren. Während freie Radikale in physiologischen Mengen wichtige Signal- und Abwehrfunktionen erfüllen, können sie in Übermaß Zellmembranen, Proteine und DNA schädigen. Diese Schäden werden mit chronischen Erkrankungen wie Neurodegeneration, kardiovaskulären Krankheiten und chronischen Entzündungen in Verbindung gebracht.


Was ist nitrosativer Stress?

Nitrosativer Stress ähnelt oxidativem Stress, bezieht sich jedoch auf die übermäßige Produktion reaktiver Stickstoffspezies (RNS), wie z. B. Peroxynitrit, die durch Stickstoffmonoxid (NO) gebildet werden. NO ist ein wichtiges Molekül, das an der Gefäßregulation, dem Immunsystem und der Neurotransmission beteiligt ist. Übermäßige Mengen können jedoch die mitochondriale Funktion stören, Proteine nitrieren und Zellschäden fördern.


Welche Faktoren begünstigen ROS und RNS?

Fehlfunktion des Nervensystems

Eine Dysautonomie, insbesondere die Überaktivität des sympathischen Nervensystems, führt zu einer anhaltenden Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol. Diese Hormone erhöhen die Produktion reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) und überlasten antioxidative Schutzsysteme. Die Mitochondrienfunktion wird gestört, was Zellschäden und Symptome wie chronische Erschöpfung und kognitive Beeinträchtigungen fördert.


Hyperinflammation

Chronisch aktive Entzündungen setzen kontinuierlich entzündungsfördernde Zytokine und ROS frei. Dies schädigt Zellmembranen, DNA und Mitochondrien, was den Entzündungsprozess aufrechterhält und systemische Schäden verursacht.


Direkte Schäden an Immunzellen

Bestimmte Viren und ähnliche Trigger beeinträchtigen die Funktion von Lymphozyten und Makrophagen. Diese Dysregulation fördert die ROS-Produktion, schwächt die Infektionsabwehr und verstärkt Entzündungsreaktionen, was die Symptome chronifiziert.


Folgen von dauerhaft erhöhtem oxidativem Stress

Ein anhaltendes Übermaß an oxidativem Stress führt zu chronischen Zellschäden, die nahezu alle Gewebetypen betreffen können. Besonders empfindlich reagieren Mitochondrien, die Hauptenergieproduzenten der Zellen. Durch oxidative Schäden an der mitochondrialen DNA, den Membranen und Enzymen wird die Energieproduktion (ATP) erheblich gestört. Dies resultiert in einer verminderten Zellfunktion und einem erhöhten Zelltod (Apoptose). Gleichzeitig setzt die gestörte Mitochondrienfunktion weitere reaktive Sauerstoffspezies (ROS) frei, was einen Teufelskreis aus Entzündung, Energieverlust und Zellschädigung erzeugt. Dies nennt man dann auch eine sekundäre Mitochondriopathie. Langfristig kann dies zur Entstehung chronischer Erkrankungen wie Long-COVID, ME/CFS, neurodegenerativen Störungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und chronischer Erschöpfung führen.


Die Rolle von ROS UND RNS bei Long-COVID, ME/CFS und Post-Vac-Syndrom

Long-COVID:

SARS-CoV-2 kann eine übermäßige Produktion von ROS und RNS induzieren, was zu einem Teufelskreis aus Entzündungen und oxidativem Stress führt. Studien zeigen, dass oxidativer Stress die Funktion von Immunzellen wie Makrophagen und T-Zellen beeinträchtigen kann, was eine prolongierte Immunaktivierung fördert (Bisht et al., 2022). Zudem wurde eine Dysregulation der mitochondrialen Funktion nach COVID-19 nachgewiesen, die zur Erschöpfung und weiteren Symptomen beiträgt (Li et al., 2022).


ME/CFS:

Patient:innen mit ME/CFS zeigen häufig erhöhte Marker für oxidativen Stress und reduzierte antioxidative Kapazität. Diese Dysregulation steht im Zusammenhang mit mitochondrialer Dysfunktion, was eine verminderte Energieproduktion und die charakteristische Erschöpfung erklärt (Missailidis et al., 2020). Hyperinflammation, möglicherweise ausgelöst durch virale Infektionen, trägt ebenfalls zu diesem Ungleichgewicht bei.

antioxidant aus blaubeeren geschrieben
Blaubeeren oder Heidelbeeren sind voller Antioxidanzien

Was sind Antioxidantien?

Antioxidantien sind Moleküle, die freie Radikale neutralisieren können, bevor diese Schäden in Zellen anrichten. Freie Radikale sind hochreaktive Moleküle, die durch Stoffwechselprozesse, Umweltfaktoren (z. B. UV-Strahlen, Schadstoffe) oder Entzündungen entstehen. Sie greifen Zellstrukturen wie Membranen, Proteine und die DNA an, ein Prozess, der als oxidative Schädigung bekannt ist.


Mechanismus der Antioxidantien

Antioxidantien wirken, indem sie entweder:

  1. Elektronen spenden: Viele Antioxidantien, wie Vitamin C oder Vitamin E, geben freie Elektronen ab, um die freien Radikale zu stabilisieren und deren Reaktivität zu verringern. Dabei werden die Antioxidantien selbst oxidiert, was jedoch keinen Schaden verursacht, da sie stabilere Moleküle sind.

  2. Katalytische Reaktionen fördern: Enzymatische Antioxidantien wie Superoxiddismutase (SOD) oder Glutathionperoxidase beschleunigen chemische Reaktionen, die freie Radikale in harmlose Moleküle wie Wasser oder Sauerstoff umwandeln.

  3. Radikalfänger bilden: Manche Antioxidantien, wie Polyphenole, bilden stabile Komplexe mit freien Radikalen und verhindern so weitere Reaktionen.


Arten von Antioxidantien

Antioxidantien können in zwei Hauptkategorien unterteilt werden:

  • Endogene Antioxidantien: Diese werden vom Körper selbst produziert, z. B. Glutathion, Coenzym Q10 oder enzymatische Antioxidantien wie Katalase und SOD.

  • Exogene Antioxidantien: Diese stammen aus der Nahrung und umfassen Vitamine (C, E), Spurenelemente (Selen, Zink) und pflanzliche Stoffe wie Polyphenole und Carotinoide.


Wirkung im Körper

Durch die Neutralisierung von freien Radikalen schützen Antioxidantien Zellmembranen, Proteine und DNA vor Schädigungen. Sie können auch entzündungshemmende Prozesse fördern, indem sie die Bildung pro-inflammatorischer Moleküle wie Zytokine reduzieren. Eine ausreichende Zufuhr von Antioxidantien über die Ernährung oder Nahrungsergänzungsmittel ist daher essenziell, um oxidative Schäden zu minimieren und das Risiko für chronische Erkrankungen zu verringern.


Ein einfaches Beispiel ist Vitamin C: Es wirkt in wasserlöslichen Umgebungen wie dem Blutplasma und schützt die DNA und Proteine vor Schäden. Vitamin E hingegen wirkt fettlöslich und stabilisiert Zellmembranen, indem es Lipidperoxidation verhindert.

Durch diese vielfältigen Mechanismen spielen Antioxidantien eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung des zellulären Gleichgewichts und der Gesundheit.


Kann ich ROS und RNS messen?

Es gibt bestimmte Möglichkeiten, direkt oder indirekt oxidativen oder nitrosativen Stress zu messen.


Marker für oxidativen Stress:
  • MDA-LDL: Malondialdehyd-modifiziertes Low-Density-Lipoprotein (MDA-LDL) entsteht durch die Bindung von MDA an LDL-Partikel. Es ist ein zuverlässiger Marker für oxidativen Stress im Lipidstoffwechsel und wird häufig mit ELISA bestimmt.

  • Low-Density-Lipoprotein-Oxidation (oxLDL): Oxidiertes LDL entsteht durch die Einwirkung freier Radikale auf LDL-Partikel. Es ist ein Indikator für oxidativen Stress im kardiovaskulären System und wird häufig in Blutproben mittels Immunoassays bestimmt.


Marker für nitrosativen Stress
  • Nitrotyrosin: Dieses Molekül entsteht durch die Reaktion von Peroxynitrit mit Tyrosinresten in Proteinen. Nitrotyrosin ist ein spezifischer Marker für nitrosativen Stress und kann mittels Immunoassays oder ELISA in Blutplasma nachgewiesen werden. Es gibt Hinweise darauf, dass erhöhte Nitrotyrosin-Werte mit chronischen Entzündungen und mitochondrialer Dysfunktion assoziiert sind.


Marker für antioxidative Kapazität
  • Glutathion (GSH und GSSG): Glutathion ist ein zentrales Antioxidans im Körper. Das Verhältnis von reduziertem Glutathion (GSH) zu oxidiertem Glutathion (GSSG) gibt Aufschluss über den antioxidativen Status. Dieser Marker kann durch enzymatische Assays in Plasma- oder Vollblutproben bestimmt werden.

  • Coenzym Q10 (CoQ10): CoQ10-Spiegel können mittels HPLC in Serum oder Plasma bestimmt werden. Niedrige Werte weisen auf eine beeinträchtigte antioxidative Kapazität hin.

  • Vitamin C und Vitamin E: Die Konzentrationen dieser Antioxidantien können durch photometrische oder chromatographische Verfahren (HPLC) im Serum analysiert werden.


Marker für mitochondriale Funktion
  • ATP-Produktion: Indirekt messbar durch die Konzentration von ATP in Blut- oder Zellproben. Einige Labore bieten biolumineszente Assays zur Messung der ATP-Spiegel an.

  • Laktat/Pyruvat-Verhältnis: Erhöhte Laktatspiegel im Verhältnis zu Pyruvat können ein Hinweis auf mitochondriale Dysfunktion sein. Diese Marker werden mittels enzymatischer Assays im Serum oder Plasma bestimmt.


Allgemeine Entzündungs- und Stressmarker
  • C-reaktives Protein (CRP): Ein entzündungsbedingter Marker, der durch oxidativen Stress verstärkt wird. CRP wird routinemäßig in Laboren mittels Immunoassays gemessen.


Welche Studien gibt es zu Antioxidanzien und Long-COVID bzw. ME/CFS?

Die Rolle von Antioxidantien in der Therapie von ME/CFS und Long-COVID wurde in mehreren Studien untersucht, wobei insbesondere Coenzym Q10 (CoQ10), NADH und N-Acetylcystein (NAC) im Fokus standen.


Studie von Castro-Marrero et al. (2015):

In dieser randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie wurden 73 ME/CFS-Patient

in zwei Gruppen aufgeteilt: eine erhielt täglich 200 mg Coenzym Q10 (CoQ10) und 20 mg NADH, die andere ein Placebo. Nach acht Wochen zeigte die Behandlungsgruppe eine signifikante Reduktion der Müdigkeit, gemessen mit der Fatigue Impact Scale (FIS), im Vergleich zur Placebogruppe (p < 0,05). Zudem wurden Verbesserungen in biochemischen Parametern festgestellt, die auf eine Stabilisierung der mitochondrialen Funktion und eine Verringerung von oxidativem Stress hindeuten


Studie von Castro-Marrero et al. (2021):

Diese Studie umfasste 207 ME/CFS-Patient:innen , die über 12 Wochen entweder 200 mg CoQ10 und 20 mg NADH oder ein Placebo erhielten. Die Ergebnisse zeigten eine signifikante Reduktion der kognitiven Ermüdung, gemessen mit der Cognitive Fatigue Subscale der FIS, in der Behandlungsgruppe im Vergleich zur Placebogruppe (p < 0,001). Zudem wurde eine Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, bewertet mit dem SF-36-Fragebogen, festgestellt (p < 0,05)


Studie von Hosseini et al. (2022):

In dieser Untersuchung erhielten Long-COVID-Patient:innen N-Acetylcystein (NAC) als Supplement. Die Ergebnisse zeigten eine signifikante Verbesserung der körperlichen Energie und der Erholungsfähigkeit nach Belastung. Zudem wurde eine Reduktion von Entzündungsmarkern wie C-reaktivem Protein (CRP) und oxidativem Stress festgestellt. Die genauen statistischen Werte wurden in der Zusammenfassung nicht angegeben, sind jedoch im vollständigen Artikel detailliert beschrieben.


Diese Studien unterstreichen die vielversprechende Rolle von Antioxidantien in der Behandlung von oxidativem Stress und mitochondrieller Dysfunktion, die bei ME/CFS und Long-COVID häufig auftreten.


Fazit

Die umfangreiche Betrachtung oxidativen und nitrosativen Stresses sowie der mitochondrialen Dysfunktion zeigt, wie entscheidend diese Mechanismen bei chronischen Erkrankungen wie Long-COVID und ME/CFS sind. Der oxidative Stress beeinflusst wesentliche zelluläre Prozesse und trägt zur Schädigung von Zellmembranen, Proteinen, DNA und Mitochondrien bei. Nitrosativer Stress verstärkt diese Effekte durch Proteinmodifikation und Störung der mitochondrialen Funktion. Diese Schäden führen zu einer Abwärtsspirale aus Entzündung, Energieverlust und chronischer Erschöpfung.


Die beschriebenen Marker wie MDA-LDL, Nitrotyrosin, Glutathion und ATP bieten wertvolle Einblicke in den Zustand der Zellen und der Mitochondrien. Die Messung dieser Laborparameter ermöglicht nicht nur eine präzisere Diagnostik, sondern auch die Bewertung der Wirksamkeit von Antioxidantien-Therapien oder Interventionen zur Unterstützung der mitochondrialen Funktion.


Die Studien zu Antioxidantien wie Coenzym Q10, NADH und N-Acetylcystein verdeutlichen deren potenziellen Nutzen, insbesondere bei der Reduktion von Müdigkeit, der Verbesserung der Lebensqualität und der Wiederherstellung der zellulären Balance. Diese Erkenntnisse schaffen die Grundlage für personalisierte Therapien, die individuell auf die Mechanismen von oxidativem Stress und mitochondrialer Dysfunktion abgestimmt sind.


Im Kontext chronischer Erkrankungen wie Long-COVID und ME/CFS ist die Integration dieser Marker in die Routinediagnostik und die Nutzung spezifischer Therapien essenziell, um die Lebensqualität der Betroffenen nachhaltig zu verbessern.

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Eine ausgewogene Ernährung kann den Körper mit Antioxidanzien anreichern

Quellen:

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Bisht, B., Poonam, & Negi, H. (2022). Oxidative stress in post-COVID-19 syndrome. Molecular Biology Reports, 49(5), 3651–3661.

Castro-Marrero, J., Saez-Francas, N., Segundo, M. J. R., Calvo, N., Faro, M., Aliste, L., & Alegre, J. (2015). Effect of coenzyme Q10 plus nicotinamide adenine dinucleotide supplementation on fatigue and biochemical parameters in chronic fatigue syndrome: A randomized controlled trial. Antioxidants & Redox Signaling, 22(8), 679–685.

Klein, N. P., Lewis, N., Goddard, K., Fireman, B., Zerbo, O., Hanson, K. E., ... & Baxter, R. (2021). Surveillance for adverse events after COVID-19 mRNA vaccination. JAMA, 326(14), 1390–1399.

Li, X., Ma, S., Zhang, Z., & Zhang, Z. (2022). Mitochondrial dysfunction and its role in long COVID. Frontiers in Medicine, 9, 845901.

Missailidis, D., Annesley, S. J., & Fisher, P. R. (2020). Pathological mechanisms underlying myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome. Diagnostics, 10(2), 80.

Pacher, P., Beckman, J. S., & Liaudet, L. (2007). Nitric oxide and peroxynitrite in health and disease. Physiological Reviews, 87(1), 315–424.

Castro-Marrero, J., Saez-Francas, N., Segundo, M. J. R., Calvo, N., Faro, M., Aliste, L., & Alegre, J. (2015). Effect of coenzyme Q10 plus NADH supplementation on fatigue and biochemical parameters in chronic fatigue syndrome: A randomized controlled trial. Antioxidants & Redox Signaling, 22(8), 679-685.

Castro-Marrero, J., Serrano-Castro, P. J., Gonzalez-Garcia, S., Saez-Francas, N., & Alegre, J. (2021). Antioxidant supplementation with coenzyme Q10 and NADH in patients with chronic fatigue syndrome. Nutrients, 13(8), 2658.

Hosseini, S. F., Khosrowabadi, R., & Alizadeh, Z. (2022). Effect of N-acetylcysteine supplementation on oxidative stress and inflammation in patients with long COVID. Journal of Medical Virology. 

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