
Die Behandlung von Long-COVID und Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) bleibt eine Herausforderung in der medizinischen Praxis. Beide Erkrankungen zeichnen sich durch anhaltende Immunstörungen und häufig auch durch Virusreaktivierungen aus, beispielsweise des Epstein-Barr-Virus (EBV). Delimmun®, ein immunmodulierendes Präparat, wird im Off-Label-Use eingesetzt und könnte durch seine spezifischen Wirkmechanismen sowohl bei Virusreaktivierungen als auch bei allgemeinen Immunstörungen eine Rolle spielen.
Das Immunsystem bei Long-COVID und ME/CFS
Long-COVID und ME/CFS können beide durch eine tiefgreifende Dysregulation des Immunsystems gekennzeichnet sein, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Symptome beiträgt. Diese Veränderungen betreffen sowohl das angeborene als auch das adaptive Immunsystem und manifestieren sich in spezifischen Mustern:
Überaktiviertes Immunsystem
Ein überaktiviertes Immunsystem ist häufig durch eine chronische Entzündungsreaktion gekennzeichnet. Die anhaltende Freisetzung entzündungsfördernder Zytokine wie Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α) und Interleukin-6 (IL-6) führt zu erheblichen Beschwerden. Diese Zytokine beeinträchtigen die zelluläre Energieproduktion in den Mitochondrien und können zu Fatigue führen. Zusätzlich verstärken sie Muskelschmerzen, Gelenkbeschwerden und neuroinflammatorische Prozesse, die kognitive Symptome wie „Brain Fog“ und Konzentrationsprobleme begünstigen. Diese Entzündungsreaktionen werden häufig durch eine dysfunktionale Immunantwort aufrechterhalten, was den Heilungsprozess erheblich erschwert und eine chronische Krankheitsdynamik etabliert.
Virusreaktivierungen
Virusreaktivierungen sind häufig bei Long-COVID und ME/CFS nachzuweisen. Latente Viren wie das Epstein-Barr-Virus (EBV), oder andere Viren aus der Gruppe der Herpes-Viren, können unter Bedingungen einer geschwächten Immunabwehr reaktiviert werden. Solche Reaktivierungen verursachen nicht nur zusätzliche Symptome wie Fieber, Lymphknotenschwellungen und verstärkte Entzündungszeichen, sondern halten auch die chronische Immunaktivierung aufrecht. Diese Viren nutzen die Immunschwäche aus, um sich zu vermehren, und belasten das ohnehin erschöpfte Immunsystem weiter. Virusreaktivierungen verstärken die bereits bestehenden Beschwerden und können opportunistische Infektionen begünstigen, die zusätzliche Komplikationen verursachen. Eine wirksame Kontrolle dieser Reaktivierungen ist entscheidend, um den Krankheitsverlauf zu verbessern.
Erschöpftes Immunsystem
Gleichzeitig zeigt das Immunsystem bei Long-COVID und ME/CFS Anzeichen von Erschöpfung, insbesondere bei der zellulären Abwehr. Natürliche Killerzellen (NK-Zellen) und zytotoxische T-Zellen, die für die Erkennung und Eliminierung virusinfizierter Zellen verantwortlich sind, sind oft in ihrer Funktion eingeschränkt. Diese Dysfunktion ermöglicht es latenten Viren, im Körper zu persistieren, und erhöht die Anfälligkeit für Reaktivierungen. Helfer-T-Zellen, die für die Aktivierung anderer Immunzellen entscheidend sind, sind ebenfalls häufig geschwächt. Diese immunologische Erschöpfung führt zu einer verminderten Fähigkeit, effizient auf Infektionen zu reagieren, und verstärkt die Immunlücken bei Betroffenen.
Autoimmunität
Die oben beschriebenen Mechanismen führen häufig zu einer Verschiebung von der zellulären Immunantwort hin zur humoralen Immunantwort, was als Th2-Shift bezeichnet wird. Dabei wird die Aktivität der Th1-Zellen, die für die zelluläre Abwehr und die direkte Eliminierung virusinfizierter Zellen entscheidend sind, gehemmt. Stattdessen dominiert die Th2-Antwort, die hauptsächlich auf die Bildung von Antikörpern fokussiert ist. Diese Verschiebung des Gleichgewichts zwischen Th1- und Th2-Zellen ist ein zentrales Merkmal der Immunstörung bei Long-COVID und ME/CFS.
Die übermäßige humorale Aktivierung kann zur Produktion einer erhöhten Anzahl von Antikörpern führen, darunter auch solcher, die gegen körpereigenes Gewebe gerichtet sind. Diese sogenannten Autoantikörper spielen eine zentrale Rolle bei Autoimmunreaktionen. Insbesondere bei COVID-19 und Long-COVID wurden häufig GPCR-Autoantikörper (G-Protein-gekoppelte Rezeptor-Autoantikörper) nachgewiesen. Diese Autoantikörper greifen wichtige regulatorische Systeme an, wie etwa die Kommunikation zwischen Nervensystem und Gefäßen, und können zu Dysregulationen führen, die Symptome wie Kreislaufprobleme, orthostatische Intoleranz und neurologische Beschwerden hervorrufen.
Das resultierende Ungleichgewicht schwächt die Fähigkeit des Immunsystems, Viren effektiv zu bekämpfen, und trägt gleichzeitig zur Chronifizierung von Entzündungen bei. Diese anhaltenden Entzündungsprozesse fördern nicht nur die Persistenz von Viren, sondern verschärfen auch die systemische Belastung des Körpers, was die Beschwerden bei Long COVID und ME/CFS weiter verstärkt.
Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Immunsystem bei Long-COVID und ME/CFS hier auch folgenden Blog-Artikel.

Wirkweise von Delimmun bei Long-COVID und ME/CFS®
Delimmun® ist ein immunmodulierendes Präparat, das die Wirkstoffe Inosin und Dimepranol-4-acetamidobenzoat kombiniert. Diese beiden Komponenten wirken synergetisch, um das Immunsystem gezielt zu unterstützen und gleichzeitig überschießende Reaktionen zu regulieren. Seine Einsatzmöglichkeiten reichen von der Förderung der antiviralen Abwehr bis hin zur Modulation chronischer Entzündungsprozesse. Die spezifischen Wirkmechanismen der einzelnen Bestandteile machen Delimmun® zu einer vielversprechenden Therapieoption
Inosin
Inosin ist ein natürlicher Bestandteil des Zellstoffwechsels, der direkt die Aktivität von T-Lymphozyten, Makrophagen und natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) unterstützt. Diese Zellen spielen eine entscheidende Rolle in der Abwehr von Viren und in der Regulation der Immunantwort. Inosin verbessert die Kommunikation zwischen Immunzellen und stärkt somit die koordinierte Abwehrreaktion gegen Infektionen
Dimepranol-4-acetamidobenzoat
Dieser Wirkstoff erhöht die Produktion von Interferon, einem Schlüsselprotein in der antiviralen Immunantwort. Interferone aktivieren zahlreiche Gene, die für die Hemmung der Virusvermehrung und die Stärkung der zellulären Abwehr notwendig sind. Gleichzeitig hilft Dimepranol-4-acetamidobenzoat, die Freisetzung entzündungsfördernder Zytokine zu modulieren, um eine überschießende Entzündungsreaktion zu verhindern.
Mögliche Wirkungen von Delimmun® bei Long COVID und ME/CFS
Delimmun® könnte bei Long COVID und ME/CFS auf drei zentralen Ebenen wirken:
Immunmodulation:
Delimmun® trägt zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen der Th1- und Th2-, und zur Stärkung der zellulären Immunantwort bei. Dadurch werden überschießende Entzündungsreaktionen reguliert und die chronische Aktivierung des Immunsystems gedämpft.
Bekämpfung reaktivierter Viren:
Durch die Aktivierung von natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) und T-Zellen verbessert Delimmun® die Fähigkeit des Immunsystems, reaktivierte latente Viren wie das Epstein-Barr-Virus (EBV) zu kontrollieren. Diese Viren tragen oft zur Aufrechterhaltung von Entzündungen und zur Verschlimmerung der Erkrankung bei.
Reduktion der Antikörperbildung:
Delimmun® kann die übermäßige Produktion von Antikörpern, die durch eine dominante Th2-Antwort ausgelöst wird, verringern. Dies reduziert Autoantikörper, die bei Long-COVID und ME/CFS häufig auftreten und die Symptome zusätzlich verschärfen können.
Mit diesen drei zentralen Wirkmechanismen zielt Delimmun® darauf ab, sowohl die zugrunde liegenden Immunstörungen zu regulieren als auch die Belastung durch Virusreaktivierungen und Autoimmunprozesse zu reduzieren, was zu einer spürbaren Linderung der Symptome führen könnte.
Wie ist die Studienlage zu Delimmun®?
Delimmun® ist zugelassen für die Behandlung von Herpes-simplex-Infektionen, subakut sklerosierender Panenzephalitis (SSPE) sowie Virusinfektionen bei immunsupprimierten Personen. Zu den zugelassenen Indikationen zählen Infektionen mit Herpes simplex, Varicella zoster, Masern, Zytomegalie und Epstein-Barr-Virus (EBV).
Forschung und Artikel zu ME/CFS
Aktuell existieren nur wenige aktuelle wissenschaftliche Studien oder Artikel von Delimmun® bei ME/CFS. Ein Artikel von Sliva, J., Pantzartzi, C. N., & Votava, M. (2019) untersucht die Einsatzmöglichkeiten von Inosin Pranobex, dem Wirkstoff in Delimmun®, und widmet auch ein Kapitel den potenziellen Anwendungen bei ME/CFS. Dabei wird eine Pilotstudie von Klimas, N. G., Salvato, F. R., Morgan, R., & Fletcher, M. A. aus dem Jahr 1990 besprochen, die erste Hinweise auf die Wirksamkeit von Inosin Pranobex bei Chronic Fatigue Syndrome (CFS) liefert. Zu Long-COVID liegen keinerlei Studien vor.
Details der Pilotstudie
Design:
Die Studie war eine single-blind, placebo-kontrollierte Untersuchung mit 16 Patient:innen, die an CFS litten.
Behandlungsprotokoll:
Zehn Patient:innen erhielten eine zyklische Behandlung mit Inosin Pranobex (3 g/Tag in ungeraden Wochen, 1 g/Tag in geraden Wochen) über 12 Wochen, während sechs Patient:innen ein Placebo erhielten. Im Anschluss wurden alle Teilnehmenden 16 Wochen lang mit Inosin Pranobex behandelt.
Ergebnisse:
Symptomatische Verbesserung: 60 % der behandelten Patient:innen berichteten über signifikante Verbesserungen, darunter eine 16-prozentige Reduktion kognitiver Symptome.
Immunologische Effekte: Die Verbesserung korrelierte mit einer gesteigerten Aktivität natürlicher Killerzellen (NK-Zellen), was die immunmodulierende Wirkung des Medikaments verdeutlicht.
Einschränkungen: Die geringe Stichprobengröße und der kurze Beobachtungszeitraum schränken die Aussagekraft ein und machen gut konzipierte Folgestudien erforderlich.
Schlussfolgerung:
Trotz der limitierten Evidenz deutet die Pilotstudie darauf hin, dass Inosin Pranobex bei ME/CFS potenziell wirksam sein könnte. Dies kann ggf. auch auf Long-COVID übertragen werden. Besonders die Förderung der NK-Zell-Aktivität und die Verbesserung kognitiver Symptome stellen vielversprechende Ansatzpunkte dar. Um die Sicherheit und Wirksamkeit des Medikaments zu bestätigen, sind jedoch größere und methodisch robuste Studien notwendig.
Therapie als individueller Heilversuch
Die Anwendung von Delimmun® bei ME/CFS erfolgt derzeit als experimenteller, individueller Heilversuch (Off-Label-Use). In der Praxis wird das Medikament häufig in zyklischen Behandlungsformen eingesetzt, das heißt, es wird nicht dauerhaft, sondern in festgelegten Intervallen eingenommen. Eine informierte Therapieentscheidung erfordert eine fundierte Diagnostik, eine umfassende Risikoaufklärung und eine engmaschige ärztliche Überwachung, um mögliche Nebenwirkungen zu minimieren und die individuelle Wirksamkeit zu beurteilen.
Für ist delimmun® potenziell geeignet sein?
Die Therapie mit Delimmun® ist insbesondere für Patient:innen geeignet, bei denen eine Virusreaktivierung oder eine Dysregulation des Immunsystems nachweisbar ist. Diese können durch spezifische diagnostische Tests, wie den Lymphozyten-Transformationstest (LTT), aufgedeckt werden, der persistierende Virusaktivität, beispielsweise des Epstein-Barr-Virus (EBV), nachweist.
Betroffene, die von einem Th2-Shift geprägt sind – also einer Verschiebung hin zur humoralen Immunantwort mit erhöhter Antikörperbildung – können ebenfalls von der Therapie profitieren. Dies gilt insbesondere für Patient:innen mit einem erschöpften Immunsystem, das durch reduzierte Funktion von T-Zellen und natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) gekennzeichnet ist. Hinweise auf eine übermäßige Antikörperproduktion, einschließlich Autoantikörper, können zusätzliche Indikatoren für eine geeignete Behandlung sein.
Diese Therapie könnte auch für jene Patient:innen sinnvoll sein, deren Immunsystem durch eine Kombination aus überschießender Entzündungsreaktion und unzureichender zellulärer Abwehr stark dysreguliert ist. Diese Zustände führen häufig zu einer anhaltenden Belastung durch chronische Entzündungen, Autoimmunreaktionen und einer verminderten Fähigkeit, Viren effektiv zu kontrollieren. Die gezielte Diagnostik zur Identifikation dieser Mechanismen ist bei ME/CFS und Long-COVID essenziell, um die Therapie individuell anzupassen.
Delimmun® gilt insgesamt als gut verträglich. Dennoch können bei der Anwendung Nebenwirkungen auftreten, die je nach individueller Empfindlichkeit variieren. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen:
Harnsäureanstieg: Ein erhöhter Harnsäurespiegel im Serum und Urin, der bei manchen Patient:innen zu Beschwerden wie Gichtanfällen führen kann, insbesondere bei einer bestehenden Prädisposition.
Magen-Darm-Beschwerden: Gelegentlich berichten Patient:innen über Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall, die in der Regel mild und vorübergehend sind.
Seltene allergische Reaktionen: Dazu zählen Nesselfieber (Urtikaria), Hautrötungen (Erythema) oder Juckreiz. In sehr seltenen Fällen kann es zu schwereren allergischen Reaktionen kommen.
Um mögliche Komplikationen frühzeitig zu erkennen, wird empfohlen, die Harnsäure- und Leberwerte regelmäßig zu überwachen, insbesondere bei längerer Anwendung oder bei Patient:innen mit vorbestehenden Stoffwechselstörungen.
Die Entscheidung für die Anwendung von Delimmun® bei Long-COVID und ME/CFS sollte stets in enger ärztlicher Rücksprache getroffen werden. Dies ist entscheidend, um einerseits jene Patient:innen auszuwählen, die aufgrund ihres immunologischen Profils und ihrer Symptomatik am ehesten von der Therapie profitieren könnten, und andererseits sicherzustellen, dass das Medikament individuell gut vertragen wird. Eine sorgfältige ärztliche Begleitung während der Behandlung ist essenziell, um den Therapieerfolg zu überwachen und mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen.
Fazit
Die Therapie mit Delimmun® bietet eine vielversprechende Option zur Unterstützung des Immunsystems bei Long-COVID und ME/CFS, insbesondere bei Patient:innen mit nachweisbaren Virusreaktivierungen, immunologischen Dysbalancen oder einer übermäßigen Antikörperproduktion. Seine immunmodulierenden Eigenschaften ermöglichen es, überschießende Entzündungen zu regulieren, die Kontrolle über reaktivierte Viren zu verbessern und eine übermäßige Antikörperbildung zu reduzieren.
Trotz fehlender spezifischer Studien zur Anwendung bei Long-COVID und ME/CFS stützen sich erste Erfahrungen auf den Off-Label-Use, der als individueller Heilversuch mit sorgfältiger ärztlicher Überwachung erfolgt. Eine fundierte Diagnostik zur Identifikation geeigneter Patient:innen sowie eine engmaschige Kontrolle während der Behandlung sind essenziell, um die Sicherheit und Effektivität dieser Therapie sicherzustellen. Delimmun® könnte somit einen wertvollen Beitrag zur Behandlung dieser komplexen Krankheitsbilder leisten, erfordert jedoch weitere Forschung, um seine Wirksamkeit und Sicherheit umfassend zu validieren.

Sliva, J., Pantzartzi, C. N., & Votava, M. (2019). Inosine pranobex: A key player in the game against a wide range of viral infections and non-infectious diseases. Advances in Therapy, 36(8), 1878–1905.
Klimas, N. G., Salvato, F. R., Morgan, R., & Fletcher, M. A. (1990). Clinical improvement in chronic fatigue syndrome is associated with enhanced natural killer cell-mediated cytotoxicity: The results of a pilot study with Isoprinosine. Journal of Clinical Pharmacology, 30(2), 196–200.
Rombo, L., & Laaksonen, M. (2019). Inosine pranobex is safe and effective for the treatment of subjects with confirmed acute respiratory viral infections: Analysis and subgroup analysis from a Phase 4, randomized, placebo-controlled, double-blind study. BMC Infectious Diseases, 19(4105).
Gelbe Liste. Delimmun®. Fachinformation. https://www.gelbe-liste.de
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